Personalmangel im Handwerk darf nicht zur Transformationsbremse werdenDie Klima- und Energiewende gibt es nur mit mehr handwerklichen Fachkräften
19. Juli 2022
Angesichts der vielen ineinandergreifenden Krisen der jüngsten Vergangenheit macht die Handwerkskammer (HWK) Erfurt auf die Gefährdung des Friedens, der Freiheit und des Wohlstandes auch für Thüringen aufmerksam. „Aktuell befinden wir uns in einer völlig neuen Situation. Unsere Wirtschaft droht auf einen Herzinfarkt zuzusteuern“, sagt Thomas Malcherek, Hauptgeschäftsführer der HWK Erfurt. „Schon jetzt geraten unsere Handwerksbetriebe an die Grenze ihrer Möglichkeiten. Sie fahren mitunter sogar Minusgeschäfte ein, wenn sie sich mit Aufträgen über mehrere Monate gebunden haben und nun die Preise explodieren. Auf der anderen Seite stornieren Kunden angesichts der Preisentwicklung ihre Aufträge.“ Trotzdem seien die Bücher voll: „Unsere Betriebe könnten mehr machen, wenn sie mehr Personal hätten.“
Deutschlands Wirtschaft und Arbeitswelt stehe vor einem umfassenden Transformationsprozess – der auch hier in Thüringen mitgestaltet werden müsse. Von der Politik erwarteten die regionalen Betriebe mehr unternehmerischen Freiraum, die Förderung von Investitionen, die Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und die Verringerung zusätzlicher Belastungen.
Vordringlich sind aus Sicht der des Handwerks folgende Handlungsfelder:
1. Wettbewerbsfähigkeit und Energieversorgung sichern
„Wir müssen unabhängiger bei Lieferketten und Energieversorgung werden. Hohe Priorität kommt aktuell der Sicherstellung einer stabilen Gasversorgung zu“, so Malcherek. Mittelfristig sei der Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Stromnetze zu synchronisieren. „Jahrelang haben wir davor gewarnt – erst jetzt scheint man zu verstehen, dass es die Klima-, Energie- oder Mobilitätswende nur mit dem Handwerk geben kann!“ Gleichbedeutend müsse die Energieeffizienz unbürokratisch in Unternehmen gestärkt werden. Essenziell sei außerdem der Ausbau der Infrastruktur für die Erzeugung erneuerbarer Energien sowie für moderne Verkehrswege.
2. Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen
Große Teile der Infrastruktur, Gebäude oder technischen Anlagen müssen in wenigen Jahren neu gebaut, erweitert oder modernisiert werden. Ob Industrieanlagen, Gewerbe- und Wohnungsbau, Windkraftanlagen, Wasserstoffelektrolyseure, Bahntrassen, Glasfaser- und Stromleitungen: Die oft jahrelangen Verfahren zur Planung und Genehmigung müssen auf wenige Monate reduziert werden. Dazu ist eine grundlegende Überarbeitung der rechtlichen Rahmenbedingungen für alle Wirtschaftsbereiche und nicht allein beim Ausbau der erneuerbaren Energien nötig.
3. Beschäftigung ausbauen
Der Fachkräftemangel ist zur Wachstumsbremse geworden. Dienstleistungen können nicht mehr in dem Maße erbracht werden, wie sie nachgefragt werden. Im April waren knapp 320.000 gemeldete Stellen allein in MINT-Berufen nicht besetzt. „Wir müssen das inländische Erwerbspersonenpotential weiter ausschöpfen – durch bessere Bildung und Weiterbildung, Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben sowie die bessere Einbindung älterer Arbeitnehmer“, sagt Malcherek. „Zusätzlich werden wir auch weiterhin Zuwanderung brauchen. Wichtige Hebel sind hier beschleunigte und digitalisierte Verwaltungsverfahren sowie eine gezielte Weiterentwicklung des Rechtsrahmens.“
4. Fachkräfte sichern und Berufsbildungsoffensive starten
„Deutschland braucht eine Bildungswende hin zur Gleichwertigkeit akademischer und beruflicher Bildung. Es bedarf mehr materieller und ideeller Wertschätzung für die berufliche Bildung“, betont der Hauptgeschäftsführer. Nur mit ausreichend qualifizierten Fachkräften könnten die Potenziale des Landes realisiert und die Transformationsprozesse umgesetzt werden. Um den wachsenden Anteil vakanter Ausbildungsstellen besetzen zu können, müssten die duale Ausbildung und die Höhere Berufsbildung mehr Gewicht erhalten. Die Entwicklung des Ausbildungsmarkts zu einem Bewerbermarkt erfordere eine Unterstützung der Betriebe bei der Besetzung ihrer Ausbildungsplätze.