Weiter im Krisenmodus: Bedrückende Lage im Handwerk hat sich verschärft
Nach der zweijährigen Corona-Pandemie wurden erste positive Tendenzen verzeichnet, doch nur wenig später ist die Entwicklung jäh unterbrochen: Die Lage im Handwerk in Nord- und Mittelthüringen ist bedrückend. Grund sind die drastischen Auswirkungen der internationalen Krisen, die sich insbesondere in einem extremen Anstieg der Energie- und Einkaufspreise bemerkbar machen. „Das Handwerk agiert weiterhin im Krisenmodus. Die wirtschaftliche Situation ist besorgniserregend. Während wir im Herbst 2021 noch auf eine Erholung gehofft haben, hat sich die Lage sogar noch verschlechtert. Die Preisexplosionen zwingen manche Betriebe in die Knie und lassen eine der stabilsten Säulen der Thüringer Wirtschaft ins Wanken kommen“, sagte der Präsident der Handwerkskammer Erfurt, Stefan Lobenstein, in der Pressekonferenz.
Am 24. Oktober hat die Handwerkskammer Erfurt die Ergebnisse der jüngsten Konjunkturumfrage im Herbst 2022 präsentiert. Die Zahlen beziehen sich auf den Kammerbezirk in Nord- und Mittelthüringen, der die Landkreise Eichsfeld, Gotha, Ilm-Kreis, Kyffhäuserkreis, Nordhausen, Sömmerda, Unstrut-Hainich-Kreis und Weimarer Land sowie die kreisfreien Städte Erfurt und Weimar umfasst. In dieser Region sind rund 14.000 Betriebe beheimatet, die zusammen rund 69.500 Menschen beschäftigen und 3.000 Lehrlinge ausbilden.
Die Gefahr von Betriebsschließungen – und damit der Verlust von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen – sei laut Stefan Lobenstein derzeit sehr real. „In unseren Beratungen schlägt eine Vielzahl von Notrufen auf: Handwerker wissen nicht mehr, wie sie die hohen Rechnungen zahlen sollen. Sie stehen ernsthaft vor der Frage, ihren Betrieb – oft ihr Lebenswerk – aufzugeben und Insolvenz anzumelden“, alarmierte er.
Niedriger Geschäftsklimaindikator und schlechte Prognosen
Diese Situation spiegelt sich auch in der Herbstkonjunktur wider. Der Geschäftsklimaindikator liegt bei 76 Prozent und 31 Punkte unter dem Wert des Frühjahrs 2022. Damit ist er auf den niedrigsten Wert seit 2005 gesunken. Und auch die Perspektiven sind alles andere als rosig: 95 Prozent der Unternehmen blicken skeptisch in die Zukunft und hegen befriedigende bis schlechte Erwartungen an die Geschäftslageentwicklung.
Auch der Blick auf die Einzelindikatoren lässt die angespannte Lage erkennen. So setzt sich die Preisexplosion aus dem Frühjahr 2022 nahtlos fort. 94 Prozent der Betriebe erwarten sogar weiter steigende Einkaufspreise. Daneben scheint sich der Umsatzeinbruch aus den Pandemiejahren zu wiederholen. Alle Gewerke verzeichnen kleinere bis deutliche Umsatzrückgänge. Besonders drastisch ist der Rückgang bei den Betrieben des Nahrungsmittelgewerbes (-57 Prozentpunkte). Relativ stabil bleibt indes das Umsatzniveau des Bauhauptgewerbes (-0,4 Prozentpunkte).
Im Vergleich zum Vorjahr berichten fast doppelt so viele Betriebe von Auftragsrückgängen. Den stärksten Rückgang melden Nahrungsmittelgewerke (-39 Prozentpunkte). Darüber hinaus ist die Investitionsneigung um 20 Prozentpunkte zurückgegangen. Stark zu beobachten ist das im Ausbaugewerbe und in den Gesundheitsgewerken.
Stabile Beschäftigtenzahl
Dagegen stabil bleibt die Zahl der Beschäftigten im Handwerk. „Die Betriebe halten an ihren Fachkräften fest. Mit Blick auf den anhaltenden Fachkräftemangel bleibt ihnen aber auch fast nichts anderes übrig. Denn Fachkräfte, die heute entlassen werden, stehen morgen oder übermorgen – in einer Phase des Aufschwungs – möglicherweise nicht mehr zur Verfügung“, ordnete der HWK-Präsident ein.
Die Ergebnisse der Konjunkturumfrage zeigen die derzeit existenzbedrohliche Situation für zahlreiche Betriebe in Nord- und Mittelthüringen, die Folgen für die Verbraucher haben werden. 68 Prozent der Betriebe gehen von steigenden Verkaufspreisen aus. Demzufolge müssen Verbraucher künftig tiefer in die Tasche greifen, um Handwerkerleistungen zu zahlen.
Um energieintensive Betriebe zu entlasten, verlangt die Handwerkskammer Erfurt pragmatische, schnelle und unbürokratische Lösungen. „Wir setzen auf eine Regierung, die den Ernst der Lage als solchen erkennt, sich nicht in Ideologien und Parteiprogrammen verliert und mit Talkshow-Teilnahmen überbieten will“, sagte Lobenstein. Er forderte die Bundes- und Landespolitik auf, deutlich entschlossener zu handeln, um den steigenden Preisen – und damit der steigenden Belastung der Betriebe – entgegenzusteuern und nachhaltiges und wertschöpfendes Wirtschaften zu ermöglichen.